März / April 2022

Liebe Gemeinde,

 

mutig glauben. Nicht ängstlich, verzagt. Kleinlaut oder verdruckst. Mut äußert sich im offen und ehrlich sein. Mutig glauben heißt: einfach leben, zuversichtlich bleiben.

Das kann man einüben. Gelegenheiten gibt es viele. Im Familien- und Freundeskreis. Unter Kollegen am Arbeitsplatz. In Sofagruppen und Hauskreisen. Dabei denke ich nicht in erster Linie an das Krankengebet. In unseren Kreisen sind wir natürlich übernatürlich unterwegs und rechnen selbstverständlich damit, dass Gott (heute noch!) heilt. An dieser Stelle geht es mir aber um einen anderen Aspekt des mutigen Glaubens. Er hat damit zu tun, Dinge anzusprechen und schwierige Gespräche zu führen.

Oft scheuen wir uns davor. Wir fragen uns, wer wir sind, dass ausgerechnet wir, WIR, auf einen Missstand hinweisen müssen. Wir sind schließlich nicht besser. Und: Keiner legt seinen Finger gerne in eine offene Wunde. Vermutlich leidet mein Gegenüber ohnehin unter den Verhältnissen. Er wird um die Sache wissen. Wurde vielleicht schon von anderen darauf hingewiesen. Warum einen Konflikt riskieren, indem ich die Sache anspreche? So entsteht folgendes Szenario, das Ulrich Eggers unter der Überschrift: „Die Geschichte des Ungesagten“ wie folgt skizziert:

„Ist doch ganz klar“, denke ich, „wenn die so weitermachen, kann das nur übel enden.“ Denke ich. Sage ich aber nicht. Denken einige, sagt aber keiner. Und am Ende haben es alle gewusst. Nur die beiden nicht.

„So, wie der predigt, geht das doch an den Leuten vorbei. Da ist ja gar kein Leben drin.“ Denke ich. Sage ich aber nicht. Denken vielleicht viele, sagt aber keiner.

„Was der hier ankündigt, das will doch in Wirklichkeit keiner – warum widerspricht da niemand und outet sich?“ Denke ich. Und hinterher höre ich, dass andere es auch so sehen. Aber auch sie hatten ihre Gründe nichts zu sagen. Also redet man weiter aneinander vorbei.

„Wie die heute Abend redet, das ist unmöglich!“ Denke ich. Und auf dem Heimweg vom Hauskreis sind wir uns einig darüber. Aber natürlich sagt ihr das keiner. Warum denn gerade ich?

Der Unmut ist zu greifen – aber niemand gibt ihm Worte. Wasserdichte Nicht-Reaktionen, die man auch als Zustimmung deuten könnte. Nichtangriffspakte in Form von verschwiegenen Gedanken. Scheinbare Loyalität, wo doch aktive Freundschaft angesagt wäre. Wahrheit, die in der Luft liegt – aber ungesagt bleibt. Un-Mut.

Ich bin überzeugt: Es gibt eine ganze Geschichte des Ungesagten. Gewaltige Schätze der Veränderung – die leider niemals gehoben wurden. Weil ich nicht gesagt habe, was ich sehe oder fühle. Weil ich es nicht gewagt habe. Ehen hätten gerettet werden können, Gemeindespaltungen und Glaubenskrisen vermieden. Werke, Gruppen, Beziehungen, Arbeitsplätze „befreit“ – wenn Wahrheit gewagt worden wäre. Die Weltgeschichte des Ungesagten. Der verpassten Chancen. Der nicht gehobenen Schätze.“    (aus: Ulrich Eggers. Ehrlich glauben. Warum Christen so leicht lügen. SCM-Verlag. Witten. 2013. S.180).

Wie anders verhält sich Jesus. Das Johannes Evangelium berichtet davon. Offen, ehrlich und mutig spricht Jesus Dinge aus und an. Einige Beispiele: Als Maria ihn bevormundet und ihm sagen will, was er zu tun hat. Da antwortet er: „Frau, was habe ich mit dir zu tun? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ (Joh.2, 1ff).

Als Nikodemus das vertraute Gespräch mit Jesus sucht und ihn anerkennend lobt, da geht Jesus nicht weiter darauf ein. Unvermittelt antwortet er: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Und im weiteren Verlauf des Gesprächs wundert er sich und fragt: „Du bist ein Lehrer in Israel und weißt das nicht?“ (Joh.3, 1ff).

Als die Frau am Jakobsbrunnen (Joh. 4) behauptet, sie habe keinen Mann, sagt Jesus: „Du hast ganz richtig gesagt: ‚Ich habe keinen Mann‘, denn fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann; insofern hast du wahr geredet.“

Die Liste ließe sich fortführen. Aus Liebe hat Jesus die Wahrheit gesagt und nicht geschwiegen. Egal ob seine Mutter, ein angesehener Lehrer oder eine Frau mit zweifelhaftem Ruf sein Gegenüber war. Er hat selbst dann nicht geschwiegen, wenn Menschen sich daraufhin von ihm abgewandt oder ihn für seine Rede verurteilt und geschlagen haben.

Mutig glauben. Offen und ehrlich sein. Einfach leben. Zuversichtlich bleiben. Unabhängig von der Reaktion und vom Urteil der Menschen. Ist das nicht attraktiv? Sicher. Aber auch schwer. Das muss man einüben. Oft ist es leichter, durch Schweigen einem Konflikt mit dem Partner, Kind oder Kollegen aus dem Weg zu gehen. Es gilt jedoch, das Richtige zu tun und es dem Leichten  vorzuziehen.

Ein letzter Gedanke. In einem Seminar wurden die fünf wichtigsten Aufgaben eines Leiters benannt. In dieser Reihenfolge lauteten sie:

  1. Schwierige Gespräche führen
  2. Großartige Sitzungen vorbereiten und durchführen
  3. Rechenschaft von Mitarbeitern einfordern über deren Arbeit
  4. Gesunde Teams entwickeln
  5. Sich beständig wiederholen, um die Gemeindekultur und das Gemeindeziel zu fördern.

Ich habe in meinen Unterlagen zu Punkt 1 notiert: „Wenn wir die schwierigen Gespräche nicht führen, werden sie nicht geführt. Wir lieben Menschen nicht wirklich, wenn wir auf Fehlverhalten nicht aufmerksam machen, um des „lieben“ Friedens willen. Wir lieben dann nur uns und unsere Ruhe. Wir schulden einander diesen Liebesdienst und sollen damit verbundene Lasten schultern.“

Mutig glauben. Offen und ehrlich sein. Einfach leben. Zuversichtlich bleiben. – Dazu fordert uns Gott auf. Dazu rüstet Er uns mit Seinem Geist aus. Dazu schenkt Er uns Gelingen!

Herzlich,

 

Reiner

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