Dezember 2020

Liebe Vineyard-Freunde,

diese Advents- und Weihnachtszeit wird  anders   als in den Vorjahren. So viel steht fest.

Aufgrund der zweiten Corona-Welle wurden dieses Jahr alle Weihnachtsmärkte abgesagt. Dabei stehen diese Termine fix in unserem Kalender. Seit Jahren. Sie sind fest gebucht und eigentlich auch nicht verhandelbar. Manche haben im Lauf der Zeit persönliche Weihnachtsmarktrituale entwickelt. Manches ist zur liebgewordenen Tradition geworden: der Glühwein an diesem Stand; die Linzer von jenem. Der Plausch mit Nachbarn und alten Klassenkameraden. Das und vieles mehr gehören einfach dazu. Aber dieses Jahr wird anders .

Anders ,  weil auch die meisten Weihnachtsfeiern entfallen und ersatzlos gestrichen werden. Ohnehin gab es davon gefühlt zu viele. Umso mehr fällt nun auf, dass nicht eine stattfinden kann. Kein Weihnachtsessen im Kollegenkreis; keine Sport- und keine Musikvereinsfeier. Kein vertrautes Zusammensein im Haus-, Männer- oder Gebetskreis.

Weihnachtsmärkte. Weihnachtsfeiern. Weihnachtsbesuche.  Anders   als in den Vorjahren werden auch die Besuche im Familienkreis ausfallen. Kontaktbeschränkungen, Abstandsregeln, Hygienevorschriften und Alltagsmasken wirken verunsichernd. Sie machen etwas mit uns. Selbst wenn Familienfeiern über die Festtage offiziell erlaubt werden, wird man kaum entspannt beieinander sitzen können. Was in den Wochen zuvor riskant war, kann dann nicht bedenkenlos sein. Von einem Tag auf den anderen wird nicht jeder den Schalter auf sorglos stellen können.

Was folgt aus all dem? Nun, man kann das Virus verfluchen, die Pandemie leugnen, die Regierung kritisieren und AHA Regeln ignorieren. Dass Advents- und Weihnachtszeit dadurch besser werden, ist unwahrscheinlich. Sinn stiftender ist die Frage, worin die Einladung liegt, wenn Weihnachtsmärkte, Weihnachtsfeiern und Besuche nicht wie gewohnt ablaufen. Wenn dieses Jahr  anders   wird, wozu lädt es ein?

Eine Einladung könnte darin liegen, zu uns selbst zu kommen. Ein Freund berichtete mir süffisant lächelnd, dass er am Abend eine Verabredung mit sich selbst habe. „Hoffentlich treffe ich mich an“, sagte er. Blaise Pascal schrieb, dass „das ganze Unglück der Menschen allein daher rührt, dass sie nicht ruhig allein in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“ Fernseh-, Insta- und Youtube-Kanäle verhindern manchmal eine Begegnung mit mir. Der Psalmist fragt: „Was bist du so bedrückt, meine Seele? Warum bist du so aufgewühlt?“ Er nahm seine innere Unruhe wahr und ernst. Anders  als in den Vorjahren, in denen die Weihnachtshektik uns beschäftigt hielt, können wir stillhalten und auf die Sehnsucht unseres Herzens hören, indem wir fragen: Was bewegt mich eigentlich? Wozu zieht es mich? Was erwarte ich in der Zukunft? –

Das letzte der sieben Sendschreiben endet mit dieser Einladung, ausgesprochen durch unseren Herrn: „Merkst du nicht, dass ich vor der Tür stehe und anklopfe? Wer meine Stimme hört und mir öffnet, zu dem werde ich hineingehen, und wir werden miteinander essen – ich mit ihm und er mit mir“ (Offb3, 20). Vielleicht ist dies die zweite Einladung, die diese anders   -artige Advents- und Weihnachtszeit  uns überbringt. Und es ist noch nicht ausgemacht, dass wir die Tür öffnen. Auch wenn – oder gerade weil?  – wir oft von der Gegenwart Gottes reden. Wir versichern einander, dass Jesus gesagt hat: „Ich bin bei euch alle Tage.“ Sicher das gilt. Aber auch, was Matthias Claudius, der Schriftsteller, Dichter und Journalist, seinem Sohn Johannes in einem Brief 1799 schrieb, stimmt:  „Man hat darum die Sache nicht, dass man davon reden kann und davon redet. Worte sind nur Worte, und wo sie so gar leicht und behände dahinfahren, da sei auf deiner Hut, denn Pferde, die den Wagen mit Gütern hinter sich haben, gehen langsamen Schritts. …“ Wie wäre es, wenn wir ebenso regelmäßig wie wir die Türen unseres Adventskalenders öffnen, unserem Herrn erlauben, zu uns zu kommen, uns zu berühren? Er will zu uns reden durch sein Wort und wir dürfen ihm antworten, beten.

Zuletzt lädt uns diese Advents- und Weihnachtszeit auch dazu ein, einander Gutes zu tun. Möglichkeiten bieten sich viele. Angefangen vom Briefe schreiben, über Adventsgrüße vor die Tür stellen bis hin zu gemeinsamen Spaziergängen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, wobei es gar nicht um das Ausgefallene geht. “Vergesst nicht”, sagt Teilhard de Chardin einmal, “dass Wert und Originalität des Lebens nicht so sehr davon abhängen, dass man außergewöhnliche Dinge tut, sondern vielmehr davon, dass man gewöhnliche Dinge tut und dabei ihren außergewöhnlichen Wert erkennt.”

Diese Advents- und Weihnachtszeit wird  anders   als in den Vorjahren. So viel steht fest. Wie anders  sie wird, entscheidet sich mitunter daran, welche Einladungen wir entdecken und  welchen Einladungen wir folgen.

 

Herzliche Segenswünsche,

Reiner

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